Der Glaube an Übernatürliches versetzt Berge. Die daraus resultierenden Placeboeffekte bei Arzneien, Nahrungsergänzungsmitteln, den scheinbaren Wunderkräften des Wassers und vielen anderen alltäglichen Dingen sind wissenschaftlich bewiesen. Placeboeffekte und der Glaube an die vielen, scheinbar noch nicht entdeckten Kräfte der Natur sind zweifellos auch ein perfektes Geschäftsmodell. Beide Parteien, die Verwender und die Hersteller der betreffenden Artikel und Dienstleistungen profitieren davon. Wenn die Placeboeffekte harmloser Pulver, Extrakte oder Cremes groß genug sind, um viele kleine Probleme zu beseitigen, die Gesundheit und Haut betreffen, dann ist das Ziel erreicht: eine gute Wirkung ohne Nebenwirkung. Warum etwas, was nicht da ist, wissenschaftlich kleinreden, wenn die Wirkung statistisch wissenschaftlich erwiesen ist? Das Geschäftsmodell nutzt vor allem Assoziationen und Vorurteile, die weit verbreitet sind: - Natur kontra Chemie: Naturprodukte sind a priori besser und vorzuziehen. Chemie ist schlecht und schädlich.
- Edelsteine und Edelmetalle sind in allen Kulturen begehrt, wertvoll und teuer.
- Konservierte Überlieferungen aus längst vergangenen Zeiten gehören zum Kulturgut. Die daraus kolportierten Volksmedizinen stehen hoch im Kurs.
- Das Wort "Schulmedizin" grenzt dagegen inzwischen schon an ein Schimpfwort und drückt treffend die Unzulänglichkeit der Ärzteschaft aus.
- Die Zuwendung, die der moderne Mensch heute vielfach vermisst, wird ihm bei ausführlichen Produktbewerbungen und -beschreibungen zuteil, indem die Gefühle und das Wohlbefinden angesprochen werden.
Darüber hinaus werden in den letzten Jahrzehnten von der Kosmetik mehr und mehr Anleihen aus medizinischen Bereichen aufgenommen. Die vielen Bezeichnungen wie Cosmeceuticals und die Dr. Brands illustrieren diese Tendenz. Auch Homöopathie, Schüssler-Salze und Bachblütentherapie der Apotheken gehören dazu; ihre Nebenwirkungen, die bekanntlich gegen Null tendieren. werden gern zitiert. Terminologien aus dem Gesundheitsbereich und der Apotheke, die der Verwender kennt, werden adoptiert. Mindestens ein Dr. med. steht bei Entwicklungen von Präparaten Pate - auch wenn er sie nie gesehen hat. Spagyrik & Co Die Spagyrik beinhaltet unter anderem Verfahren zur Gewinnung von Essenzen - also Medien, die pflanzliche Wirkstoffe enthalten. Die Mazeration, die als Besonderheit hervorgehoben wird, ist eine unter vielen Extraktionsmethoden. Auch Destillationen sind nicht ungewöhnlich für die Trennung und Konzentrierung von Stoffen. Welchen Beitrag speziell die durch Veraschung von Pflanzen entstehenden Mineralien und Spurenelemente leisten, die bei jeder Pflanze anders zusammengesetzt sind und warum diese Salze speziell für die betreffende Haut eine optimale Wirkung haben sollen, verbirgt sich meist hinter wenig konkreten Beschreibungen. Fest steht aber, dass Salze zum NMF (Natural Moisturizing Factor) beitragen können und sie aus diesem Grunde auch konventionellen Hautpflegepräparaten hinzugefügt werden. Bis zu diesem Punkt unterscheidet sich die Spagyrik also wenig von üblicher Kosmetik, die mit pflanzlichen Bestandteilen arbeitet. Allerdings fallen zuweilen die Konzentrationen auf, die wie in der Homöopathie in D-Einheiten angegeben werden. Dabei ist von Potenzierung die Rede, die vom unbedarften Verwender leicht missverstanden werden kann. Potenzierung ist in diesem Fall nicht eine potenzielle Verbesserung der Wirkung, sondern eine potenziell besonders niedrige Konzentration. D1 entspricht einer Verdünnung von 1:10; D2 einer Verdünnung von 1:100 usw. Das aus der Mazeration einer Pflanze - der Pharmazeut spricht von einer Drogenextraktion - resultierende und mit Pflanzeninhaltsstoffen angereicherte Öl ist somit entsprechend niedrig dosiert Es bleibt offen, warum spagyrische Präparate - so lautet das Versprechen - Vorteile gegenüber üblichen Naturkosmetika und Phytowirkstoffen haben sollen. Eine stichhaltige Begründung gibt es dafür nicht. Ein interessanter Punkt sind Mazerationen, die in Gegenwart von Edelmetallen und Edelsteinen erfolgen. Da diese Materialien - Gold spielt dabei eine herausragende Rolle - absolut unlöslich in den betreffenden Medien sind, erschließt sich dem aufmerksamen Betrachter nicht der Anspruch, dass von den Extrakten besondere (magische) Kräfte und Energien ausgehen sollen. Inhaltsstoffe wie "Aurum Extrakt" und "flüssiges alchemistisches Gold" sind Phantasiebezeichnungen. Kolloidales Gold wird durch eine chemische Reaktion aus Goldsalzen hergestellt. Die ihm zugesprochenen spektakulären Fähigkeiten wie Zunahme der Intelligenz, Regeneration und Verjüngung bei oraler Applikation gehören ebenfalls zu den unterhaltsamen Geschichten, die man zu diesem Edelmetall im Internet lesen kann. Dabei werden Publikationen aus der medizinischen Goldsalztherapie zitiert und die dort beschriebenen Resultate unzulässig auf die Applikation von kolloidalem Gold übertragen. Da geht es um Heilung diverser Krankheiten und - für die Kosmetik von Interesse - auch um den kraftvollen Fang freier Radikale. Auf diese Weise werden die Käufer der Präparate hinters Licht geführt. Die Verwendung von Goldpurpur als Farbpigment für das Make-up ist allerdings real, aber nicht neu, sondern ein aus dem 17. Jahrhundert stammender alter Hut. Anders ist es, wenn Edelsteine, die oft Feldspat- oder Kaolin-Charakter haben, fein vermahlen werden und in dieser Form in die Präparate gelangen. Sie können Aufgaben von Pigmenten, gegebenenfalls sogar Heilerden, erfüllen, da sie bei besonders kleinen Teilchengrößen auch absorptive Eigenschaften haben. Allerdings sind diesbezüglich spezielle, z. B. in der Felke-Therapie eingesetzte, ordinäre Lehmpulver wesentlich wirksamer und preiswerter. Ein Wort noch zur oben erwähnten Destillation: Wenn von einer Wesensinformation der Pflanze oder von einer besonderen Energie die Rede ist, die bei der Destillation in das Destillat übergeht, dort dauerhaft konserviert und später auf den Verwender übertragen wird, dann ist zu konstatieren, dass die Zusammensetzung selbstverständlich ein pflanzenspezifisches Muster und eine dementsprechende spezifische Wirkung hat oder nicht hat. Eine dem Destillat angedichtete besondere Energie oder Information ergibt zwar eine spirituell ansprechende und überzeugende Story, entspringt aber ausschließlich der Feder des Vertreibers des Produktes. Zuweilen wird noch auf aufsehenerregende wissenschaftliche Untersuchungen hingewiesen, die sich bei einer gezielten Nachfrage oder Recherche als Luftnummer erweisen. Bedauerlich ist es, dass bei spagyrischen Präparaten häufig Konservierungen mit Benzylalkohol, Sorbinsäure und Benzoesäure erfolgen, die auch heute noch im Apothekenbereich üblich sind. Die Konservierungsstoffe passen nicht zu den auf die Gesundheit ausgerichteten Ansprüchen und sind kontraproduktiv. Aufgrund ihrer Allergenität werden sie im Anhang der Kosmetikverordnung (KVO) gelistet. Gleiches gilt für ätherische Öle mit deklarationspflichtigen allergenen Komponenten. Wenn im Zusammenhang mit den Allergenen in Fußnoten die Erklärung "Bestandteil natürlicher ätherischer Öle" steht, ist dies natürlich nicht falsch, aber trotzdem irreführend, da es sich eben um die deklarationspflichtigen, weil allergenen Komponenten handelt. Auch Hinweise wie "ohne synthetische Duftstoffe" erwecken eine falsche Sicherheit, wenn stattdessen oben genannte ätherische Öle eingesetzt werden. Hinsichtlich der manchmal mit Schwingungen oder Lichtwellen "beladenen" und deshalb "hochenergetischen" Präparate sei auf ähnliche Ansprüche der Vergangenheit betr. der Super-Wasser-Qualitäten hingewiesen: H. Lautenschläger, Wasser ist nicht gleich Wasser - Wasserqualitäten, Kosmetische Praxis 2005 (4), 8-10. Auch diese Leistungsbeschreibungen entspringen der reinen Phantasie. Last but not least: Die häufig zu lesenden Versprechen, Beschwerden und Hautkrankheiten heilen oder lindern zu können, sind nicht mit der Kosmetikverordnung konform und nur bei ärztlichen Rezepturen zulässig. Mikrosilber Ganz anders stellt sich die Situation bei Mikro- oder Nanosilber enthaltenden Präparaten dar. Feinverteiltes Silber hat eine starke antiseptische Wirkung, die beispielsweise auch bei chronischen Hautproblemen wie der Neurodermitis, Entzündungen sowie bei Wundpflastern zum Tragen kommt. Denn Silber hat eine spezielle Affinität zu den schwefelhaltigen Aminosäuren der Proteinstrukturen von Mikroorganismen. Durch die Reaktion mit dem Schwefel werden die Keime inaktiviert und unschädlich gemacht. Einen Nachteil können silberhaltige Präparate allerdings auf Dauer haben, indem sie die Haut durch Silberausscheidungen verfärben (Argyrie).
Dr. Hans Lautenschläger |